13. bis 16. Feb. 2024

BIOFACH 2024 – viel Marketing, wenig Idealismus

Vom 13. bis 16. Feb. 2024 fand in Nürnberg die internationale Bio-Lebensmittel- und Naturkosmetik-Messe BIOFACH VIVANESS statt. Rund 35.000 Fachbesucher aus 128 Ländern informierten sich über das Angebot der 2.550 Aussteller aus 94 Ländern. Dank des von Bio Vorarlberg (Vereinsmitglied) organisierten Trips hatten auch wir die Chance, diese zentrale Messe für die Biobranche zu besuchen. Hier unsere – zugegebenermaßen – sehr subjektiven Eindrücke des Events.

Vor Jahrzehnten noch als Treffpunkt der Öko-Idealisten gefeiert, stellen auf dem heutigen Branchentreff die Startups und idealistischen Träumer nur noch eine verschwindende Minderheit. Professionelles Marketing, durchgestylte Messestände (vor allem bei italienischen Anbietern) und der Hauch des globalisierten Big Bussinesses mit dem Label „Bio“ bestimmen den Eindruck, während man sich durch die vielen Hallen die Füße platt läuft (An diesem einen Messestag waren es um die 16.000 Schritte). Hier wird angesichts der Internationalität des Marktes englisch gesprochen. Aber auch heimische Aussteller waren präsent.

Überrascht hat ein relativer großer Stand der Sulzberger Käserebellen, an deren Verkostungstheke sich schnell eine Menschenschlange bildete, die vielen Firmen auf dem Austria-Gemeinschafts-Stand und dem Bio-Austria-Auftritt und natürlich Johannes Gutmann im traditionellen Outfit auf dem Sonnentor-Stand. Mit dem Slogan „Määh statt Muuuh!“ propagierte die oberösterreichische Bio-Schafmilch-Molkerei Leeb ihre Produkte und Ex-Leberkäs-Guru Hermann Neuburger präsentierte sich mit einem zweiten Vermarktungsversuch seiner auf Kräutersaitlingen und Reis basierenden vegetarischen Fleischalternative. Die vielen anderen österr. Aussteller mögen mir verzeihen, dass ich hier nicht alle namentlich nennen kann.

Stylische Verpackungen für „moderne“ Konsumenten

 Sowohl das Packungsdesign als auch die angebotenen Produkte selbst werden heute einer sich dramatisch wandelnden Zielgruppe für Bio gerecht. Der Müsli-Apostel, der vor Jahrzehnten noch in seinem kleinen Bioladen um die Ecke einkaufte, scheint Geschicht zu sein. Heutige Bio-Konsumenten stehen offensichtlich auf stylisches Outfit ihrer Bioprodukte, was natürlich auch hilft, jene Zielgruppen darauf neugierig zu machen, die mit Bio noch nichts anfangen können (oder wollen), aber trendy sein wollen. Guerilla-Taktik mit gutem Design? Warum nicht, wenn es hilft, Menschen für biologisch produzierte Lebensmittel zu begeistern. Was die Biofach allerdings auch zeigte: Viele Anbieter konzentrieren sich lediglich auf die Bio-Zertifizierung ihrer Zutaten. Dass diese dann in wenig ökologische Kunststoff-Folien und Beutel verpackt werden, scheint für sie kein Widerspruch zu sein. Innen hui. Außen pfui.

Globale Vertriebswege, Selbstbedienung beim Endkunden, hohe Hygienestandards und natürlich der Drang zur Marketingbotschaft direkt am Produkt zwingen wohl dazu. Obwohl es Alternativen gäbe. Leider nur ein einziger Aussteller zeigte u.a. eine haus-kompostierbare (also in wenigen Wochen tatsächlich daheim am Komposthaufen kompostierbare) Folie aus Zucker und Zellulose, die sogar eine mehrmonatige Barriere (bei begasten Produkten) bietet. Und ein weiterer Anbieter fertigt Kartonverpackungen aus Sylphie-Fasern (einer zur Gewinnung von Biogas angebauten Energiepflanze). Was nach der energetischen Nutzung im Biogasreaktor übrigbleibt, wird bei ihm zu Verpackungspapier weiterverarbeitet.

 Snacks, Schokolade und anderes Superfood

 Begriffe wie Superfood haben auch in der Bio-Branche Einzug gehalten. Unzählige Messestände verwendeten diesen Begriff, um ihre süßen Snacks und Energie-Riegel anzupreisen. Überhaupt scheint die kleine Mahlzeit zwischendurch im Kommen zu sein. Die Produkte versprechen auch – wie ein Aussteller verriet, weil er mich für einen Wiederverkäufer hielt – eine grandiose Gewinnspanne. Die schon vor Jahren angekündigte Verknappung bei Schokolade war auf der Biofach allerdings nicht zu spüren. Sehr viele Anbieter priesen ihre ökologisch und fair produzierten Tafeln an – darunter auch fairafric aus München, die ihre Produkte vom Baum bis zur fertigen Tafel direkt in Ghana produzieren. So bleibt ein großer Teil der Wertschöpfung im Ursprungsland.

Die Convenience-Welle startet auch in Bio.

Zig Kochsendungen im Fernsehen und dennoch wachsen parallel dazu die Regalmeter für Fertigprodukte im Supermarkt Jahr für Jahr. Wir schauen scheinbar gerne Leuten beim Kochen zu, tun es aber selbst immer weniger. Also müssen hoch verarbeitete industrielle Fertigprodukte her und neuartige, schwachsinnige Abwandlungen bestehender, um immer wieder Umsatz zu generieren. Wer braucht beispielsweise marshmallow crunchies oder die Cappuccino-Alternative Chagaccino aus Pilzen – auch wenn die Zutaten bio sind. Längst etabliert und trotzdem in Frage zu stellen bleiben Produkte wie fertig zubereitete Erbsen-Cremesuppen oder Kürbis-Karotten-Cremesuppen im Glas. Heißes Wasser dazu. Fertig. Das ist nicht Kochen. Und zudem sehr viel teurer als würde man die Zutaten selbst schnippeln und zu einer leckeren Suppe verarbeiten. Aber die Devise unserer Zeit lautet wohl „Time is money“. So wurde auch die berühmte Erhitzungs-Zerkleinerungs-Rühr-Maschine aus Deutschland zum Verkaufsrenner: Zutaten rein. Knopf drücken. Fertig. Nein, auch das ist nicht Kochen.

Inflationäre Modeworte

Beim hundersten „Nachhaltig“ bzw. „Sustainable“, das ich auf einem Messestand oder einer Packung gelesen habe, hörte ich auf zu zählen, von „bio“ natürlich ganz zu schweigen. Der Begriff „fair“ hingegen war schon seltener zu lesen. Auf meine Nachfrage nach den Produktionsbedingungen und entsprechenden Zertifizierungen folgten oft schwammige Äußerungen und wenig Konkretes. Dass Bio ohne faire Produktionsbedingungen und ökologischer Verpackunge, Logistik etc. nicht wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, hat sich noch nicht herumgesprochen. Aber es gibt auch spannende neue Argumente, wie auf einer Kaffeepackung zu lesen: „Café Feminino – in Brasilien nur von Frauen angebaut.“ Bleibt zu hoffen, dass man damit tatsächlich Frauen in den Anbauländern unterstützt und das Ganze nicht nur ein weiterer Marketingversuch ist, Frauen als mögliche Konsumentinnen bauchzupinseln.

Wenn man die Häufigkeit des Begriffs „vegan“ auf der Biofach umlegt auf den Lebensmittelmarkt im allgemeinen, könnte man glauben, dass Fleischkonsum als einer der größten CO2-Verursacher längst Geschichte sei. Doch weit gefehlt. Noch immer (fr)isst Frau und Herr Österreicher im Schnitt fast 60kg Fleisch pro Jahr. Und noch immer werden auf diesem Planeten 70% der gesamten landwirtschaftlichen Fläche für Tierhaltung bzw. deren Futterproduktion beansprucht. (Zahlen: wwf.at). Dennoch zeigt der Eifer der Hersteller, vegane Produkte anzubieten, dass es da schon eine steigende Nachfrage geben muss – vor allem bei Frauen. Und das beruhigt. Denn jedes nicht nachgefragte und deshalb nicht produzierte tierische Produkt ist gut für das Weltklima und das Tierwohl. Inwieweit unser Körper nur mit pflanzlicher Energiezufuhr zurecht kommt, entzieht sich meiner Kenntnis und muss wohl jeder für sich entscheiden.

Bio goes global – ob das gut ist?

Auf der Biofach war die Welt vertreten – von Madagaskar über Albanien bis hin zu Canada und Neuseeland. Selten habe ich auf einer Messe in einem deutschsprachigen Land öfters englisch reden müssen als auf der Biofach. Das Positive: Es zeigt, dass das Bedürfnis an biologisch produzierten Lebensmitteln ein weltweiter Megatrend ist und nicht nur ein Spleen der reichen Bevölkerungsschicht auf diesem Planeten. Doch die Gefahr ist groß – und das hat meines Erachtens die Biofach einmal mehr gezeigt – dass der Begriff „bio“ doch wieder nur als Marketinginstrument für neue Umsatz-Rekorde in einer zutiefst kapitalischen Marktsturktur misbraucht wird. Bio-Austria-Chef Manuel Kirisits fragte zum Beispiel viele Anbieter, ob ihre hier gezeigten Produkte lediglich eine Bio-Schiene seien oder ob das ganze Unternehmen bio-zertifiziert sei. Die Antworten zeigten dann schnell, dass der oben geäußerte Verdacht oftmals zutraf: Bio als Marketinginstrument und nicht als Überzeugungstat.

Unter den Ausstellern waren neben China noch weitere Diktaturen vertreten. Und für mich warf sich dabei einmal mehr die Frage auf, ob man Bioprodukte aus solchen Ländern konsumieren sollte. Denn die Hersteller aus diesen Ländern – mögen sie noch so idealistisch ans Werk gehen – finanzieren mit ihren Steuerabgaben letztlich ein menschenverachtendes System in ihrer Heimat. Zu recht – wie ich finde – stellte da ein deutscher Umweltverband auf seinem Messestand dann auch die Frage, ob Bio aus China vertretbar und vertrauenswürdig sei. Die langen CO2-intensiven Transportwege sind da natürlich auch ein Thema.

Auf unzähligen asiatischen und südamerikanischen Messeständen wurden ausschließlich Rohstoffe angeboten – zwar in Bioqualität, aber angesichts der Kontraktgrößen, über die hier verhandelt wurde, sicherlich nicht boden- und menschen-schonend angebaut. „Two thousand tonns“ hörte ich da beim Vorbeilaufen als Gesprächsfetzen zufällig mit und blickte kurz auf den entsprechenden Messestand zurück. „organic plant based proteine“ stand da in großen Buchstaben. Für mich ein Zeichen, dass sich auf dem Bio-Sektor ebenso monströse, unkontrollierbare und unmenschliche, globale Liefersturkturen etabliert haben wie im konventionellen Bereich. Die Alternative dazu? Vielleicht ist „Regional“ doch das bessere Bio. Oder am besten regional UND bio. Und bei Produkten, die wir glauben unbedingt haben zu müssen und deren Zutaten eben vom anderen Ende des Planeten stammen, sollten wir uns für Produktionsweise, Transportweg und Verpackung interessieren. Oder einfach fragen: „Brauch ich das jetzt wirklich.“

Zum Beispiel das Victoriabarsch Filet, das zwar laut Packung von Kleinfischern in Tansania aus dem ohnehin überfischten See gezogen wurde aber dieser Export dennoch die Versorgung der Bevölkerung vor Ort gefährdet. Denn wenn der europäische Importeur das Dreifache für den Fang zahlt, landet der Barsch eben auf unseren Tellern und nicht auf dem Markt in Afrika. Da nützen dann die 6 Cent pro Packung, die an ein Frauen-Projekt gestiftet werden, auch nichts. Bio-verkleideter, ausbeuterischer Kolonialismus der schlimmsten Sorte – wie wir meinen. Und diesen Eindruck kehrte auch der geschmacklich wenig überzeugende Thunfisch-Ersatz aus Jackfruit und Algen vom gleichen Hersteller nicht um.

Wie schon gesagt – natürlich waren die Idealisten der Branche auch vertreten. Aber die versammelten sich (weil eben das Budget für eigene große Messestände nicht vorhanden ist) meist unter dem Dach der großen Bioverbände „Naturland“, „Demeter“, „Bio Austria“, „Bioland“ etc. vertreten. Und da blieb man dann – so schien es mir – eher ein bisserl unter sich.

Ist Bio-Alkohol gesünder?

Natürlich nicht. Aber auch bei der Produktion von Gin, Bier und Wein ist jedes Gramm Pestizid, das nicht auf den landwirtschaftlichen Rohstoffen landet, ein Gewinn für den Planeten. Im Weinbau ist bereits seit vielen Jahren ein großartiger Wandel zu Bio-Produkten zu beobachten. Nun hat diese erfreuliche Umkehr auch die Bierbrauer und die Destillerien erreicht. Ganz klar…. als passionierter Biertrinker lockten mich da natürlich gleich die Stände von Lammsbräu und Riedenburger zu einer Kostprobe. Und eine kleine Brauerei aus der Eifel kleidet ihr Bio-Vulkan-Bier in schrille, trendige Etiketten und Kartons. Überraschend waren auch einige Stände von Brennereien mit ihrem Bio-Anspruch präsent.

Fazit

Ein spannender Tag auf einer extrem internationalen Messe zeigte, dass es in Sachen „Bio“ durchaus spannende, sinnvolle Produkte, Projekte und Ansätze gibt. So fand ich endlich auch einen Hersteller von Bio-Parmigiano Reggiano und Bio-Vollkorn-Sauer-Pizzateig. Trotzdem wurde die Grundidee dieser ressourcenschonenden Philosophie von kapitalistischem, rein marktwirtschaftlichem Denken in eine Richtung manövriert, die den idealistischen Grundgedanken oft nur noch als gewinnbringendes Etikett einsetzt. Unsere Aufgabe als Konsumentinnen und Konsumenten ist es nun, die Spreu vom Weizen zu trennen, nachzufragen, uns zu informieren, die Idealisten zu fördern, das Gute in der Nähe zu suchen und den Superfood-Riegel im Supermarktregal liegen zu lassen. Auch wenn er bio ist.

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