06. Jänner 2023

Es würde viel mehr gehen, würden wir mehr gehen.

Ein sarkastischer Zeitgenosse nannte die Kinder, die auf ihren E-Scootern an uns vorbei sausten, einmal „MOB“ (Menschen ohne Beinmuskulatur). Und so ganz unrecht hat er nicht. Alle Teile unseres Körpers, die wir nicht oder wenig in Verwendung haben, verkümmern – vom Oberstübchen angefangen bis hin zu jeder einzelnen Muskelfaser. Und wenn heute schon Kinder und Jugendliche mit E-Scootern und E-Bikes unterwegs sind, werden sie wohl im Erwachsenenalter kaum widerstehen können, sich von zu Hause in das bereitstehende Auto zu schleppen und in der Arbeit natürlich auch den Aufzug nehmen. Ihre verkümmerte Beinmuskulator lässt ein anderes Mobilitätskonzept gar nicht mehr zu.

Aber wie wird Gehen in unserer hochtechnisierten Welt wieder attraktiv?

Zum Beispiel mit Sportuhren wie Garmin & Co. (deren Herstellung in China zwar wenig fair und nachhaltig ist), ihr Nutzen für das Wiederentdecken des „aufrechten Gangs“ aber nicht zu unterschätzen ist. In unserer hochtechnisierten Welt braucht es manchmal wirklich solche elektronischen Gimmicks, um wieder Freude am analogen Leben zu gewinnen.

Diese Sportuhren können mehr als nur die Zeit zu zeigen. Sie dokumentieren täglich gegangene Schritte, Höhenmeter und Entfernungen, zeichnen zurückgelegte Wegstrecken auf und geben dem Träger / der Trägerin so ein Feedback auf das täglich erledigte Zu-Fuß-Gehen-Pensum. Und das spornt natürlich an. Denn wer will schon an seinem Handgelenk ablesen, dass er im Vergleich zu den vorangegangenen Tagen mit durchschnittlich 15.000 Schritten heute gerade mal 4.000 geschafft hat. Wenn ihr euch so eine Uhr anschafft, recherchiert bitte, wo und wie sie hergestellt wurde. Und wenn ihr sie tragt, lasst euch von ihr ruhig beunruhigen. Jeder Schritt zu Fuß ist für eure Gesundheit und unser Klima eine Wohltat.

Von „Rolldeppen“ und schlecht belüfteten Kisten.

Die Rolltreppe am Bahnhof – eine immer wieder faszinierende Erfindung, aber für unsere Muskulator wenig zuträglich. Strom und Wartung für ihren Betrieb kosten auch einiges. Ein paar Meter weiter wartet die normale Treppe auf uns. Vor ein paar Jahren kursierte in sozialen Netzwerken das Bild eines großen Fitness-Centers in den USA, zu dessen Eingang eine riesige Rolltreppe führte. Aber es erschließt sich manchen Menschen der Sinn eines Fitness-Studios generell nicht – vor allem bei uns in Vorarlberg. Warum sollte ich auf einem Laufband in einem Raum meine Kilometer runterspulen, wenn wir hier überall Natur zum Laufen vor der Haustüre haben – und das gratis.

Ganz klar…. wer ein körperliches Gebrechen hat oder im Alter wirklich nicht mehr so fit ist, darf sich natürlich mit der Rolltreppe kutschieren lassen.

In Gebäuden – ob Behörde, Geschäft, Firma oder Schule – lauert die nächste Erfindung zur Muskulatorschwächung: Der Aufzug. Abgesehen davon, dass man in der Wartezeit vor der Aufzugstür meistens schon zwei Etagen zu Fuß hätte erklimmen können, braucht auch dieser Transportkasten Energie und hält uns vom Gehen ab – abgesehen davon, dass im Stiegenhaus die Luftqualität meist besser ist als in einer Kiste mit einigen Menschen auf engstem Raum. Als Faustregel kann man sich ja (vorausgesetzt man hat gesunde Beine) vornehmen, dass bis zum 5. Stock zu Fuß gegangen wird. Und wenn man gut genug trainiert ist, steigert man es bis zur 12. Etage (Gebäude mit so vielen Stockwerken gibt’s im Ländle eh nicht so viele.)

Am Sonntag Morgen frische Semmerl holen vom Bäcker. So was macht einen feinen Wochenend-Brunch erst rund. Aber bitte nicht mit dem Auto hinfahren. Im räumlich übersichtlichen Ländle ist ein Bäcker meist gar nicht weit entfernt und man hat auch gleich was für die Gesundheit getan. Fahrrad nehmen geht natürlich auch. Und wenn die Backwaren am Sonntag morgen dann doch zu weit weg wären, kann man sie ja am Vortag beim Einkauf fürs Wochenende schon besorgen und im Backrohr noch mal knusprig machen.
Es steht einfach nicht dafür, für kurze Wege das Auto zu nehmen – weder aus Gesundheitsgründen noch klimatechnisch.

Umwege erhöhen die Ortskenntnis – auch im Kopf.

Das gilt natürlich auch beim Autofahren. Aber dort hat uns das Navi ohnehin schon zum willenlosen Lakaien der akustischen Hinweise gemacht. Einen Umweg oder eine Abweichung von der „besten“ Route duldet das elektronische Gerät nicht und fordert uns eindrindlich zum „Bitte wenden“ auf. Auto und Navi entfremden uns auch zusehends von unserer realen Umwelt. Den Lebensraum, durch den wir fahren, nehmen wir hinter unserer Windschutzscheibe und vor all den blinkenden Armaturen oft nur noch wie das Spielfeld eines Computergames wahr. Den Fußgänger, der da gerade von uns nass gespritzt wurde, haben wir gar nicht wahrgenommen. Er spielt in unserem Autofahrer-Game nicht mit, ist höchstens störende Schikane am Zebrastreifen. Hermann Knoflacher, den wir auch schon mal zum Tag der Mutter Erde als Referent in Dornbirn hatten, spricht über diese schleichende Entmenschlichung beim Autofahren sehr gekonnt und eindringlich. Wenn man als Fußgänger bewusst einmal Umwege macht, dann erschließt sich uns schnell ein komplexes Bild der Welt ,in der wir leben. Und wir entdecken tolle Plätze, spannende Shops, treffen interessante Menschen und stellen fest, dass die Straße von zu Hause ins Dorfzentrum ja tatsächlich eine Steigung hat (die wir im Auto natürlich überhaupt nicht registrieren) und vieles mehr. Wir legen unsere ganz persönliche World-Map in unserem Gehirn an und sind – auch ohne elektronische Hilfsmittel – nicht aufgeschmissen, Alternativrouten zu finden. Übrigens ist inzwischen auch wissenschaftlich bewiesen, dass Autofahren Synapsen-Verknüpfungen und Reaktionsmöglichkeiten in Ausnahmesituationen verringert, weil wir ja nur ein williger Maschinenbediener sind. Fußgänger und Radfahrer, die auch gern mal Umwege nehmen, sind auch sonst bei Lebens-Unwegbarkeiten schneller in der Lage, darauf zu reagieren und Auswege zu finden. Zu Fuß gehen macht flexibel im Kopf.